Leseprobe: Die Wächter
des Wissens 1

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Leseprobe: Die Wächter des Wissens 1

10Mrz, 2022

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Die Anomalie in der Finsternis

Vorwort

Hallo und herzlich willkommen zu einem weiteren spannenden Abenteuer. Es erwartet euch in diesem Roman der Auftakt einer aufregenden Mission quer durch unser Sonnensystem auf der Jagd nach einem Geheimnis.

Vielleicht kommt der Titel und die Reihe bereits bekannt vor, was daran liegt, dass ich einst im Jahre 2017 schon diesen Band veröffentlicht habe. Nein, ich muss mich korrigieren, nicht diesen Band, denn dieser grundsätzlich von mir überarbeitete und erweiterte Band ist nicht mehr mit der Version von 2017 zu vergleichen. Viele Elemente wurden der ursprünglichen Story hinzugefügt oder daraus entfernt, dadurch ist eine ganz neue Geschichte entstanden, die für jeden neu sein wird, auch wenn man die alte Version bereits kennt.

Ich habe viel recherchiert, um es möglichst authentisch zu gestalten, und habe ebenfalls aktuelle Ereignisse verarbeitet. Keine Sorge, Corona ist nicht Bestandteil und soll in diesem Roman keine Relevanz haben. Doch überzeugt euch einfach selbst und taucht in eine Version unserer Geschichte ein, die vielleicht bereits stattfindet?

Ich wünsche euch allen viele interessante und spannende Lesestunden, euer David Reimer


Prolog

The White House, South Lawn view, Washington DC, USA.

(Dienstag, 18. März 2014, 06:59 Uhr, Oval Office Weißes Haus, Washington DC, Vereinigte Staaten von Amerika)

Es klopfte und seine Sekretärin Patricia trat gefolgt vom Genrealstabschef, dem Außenminister und dem Chef der CIA ein.

„Guten Morgen, Sir“, grüßte ihn die befehlsgewohnte Stimme des Drei-Sterne-Generals.

Er hob die Hand und unterbrach jegliche weitere Wortmeldung. Er wollte den Bericht von CNN noch zu Ende verfolgen, bevor er sich dem Besuch zuwandte. Er hörte, wie die Männer Platz nahmen und seine Sekretärin die Tür von außen schloss.

„Ab diesem Tag wird es zwei neue Föderationssubjekte geben und die Halbinsel Krim gehört nun wieder zu Russland. Der Wunsch der dort lebenden Menschen habe ich soeben in einem Vertrag bestätigt und komme ihm nach. Das russische Volk wird jedes weitere Land aufnehmen, das diesen Wunsch hegt. Falls die Nato-Grenzen sich weiter verschieben und die Ukraine in diesen Pakt aufgenommen wird, wird Russland nicht zusehen, wie diese Sicherheitsbarriere schrumpft. Wir werden entsprechende Maßnahmen ergreifen, um dem russischen Volk die nötige Sicherheit zu gewähren“, beendete die Übersetzerin.

Nachdem sein russischer Amtskollege sich erhoben hatte, schaltete er den Fernseher aus und legte die Fernbedingung auf der Schreibtischplatte ab.

„Nun, meine Herren, ich hatte gehofft, dass wir dieses Thema mit der Kuba-Krise beigelegt haben“, sagte er und ging um den Resolute Desk und setzte sich auf den Stuhl am Kopf der beiden Couchs, auf denen die drei Männer wartend saßen. Er blickte den in die Jahre gekommenen schwarzen Mann an, dessen ordenverzierte Uniform glattgezogen war und sich mittlerweile an seinem Bauch spannte. „Was meinen Sie?“

„Nun, Mister Präsident, ich würde die Verstärkung unserer Truppen auf der Ramstein Base empfehlen, zudem technisches Gerät an die Ostgrenze des NATO-Gebietes verlegen, damit wir schnell handlungsfähig sind.“

Er hob die Hand und unterbrach den General. „Timithy, wir wollen keinen Krieg provozieren, bislang wurde ein kleines Gebiet annektiert, das ist gegen das Völkerrecht, doch wurde kein Bündnis-Partner angegriffen. Ja, er hat dem Westen gedroht, das tun sie immer, doch bis jetzt gibt es nichts, was die Truppenbewegung unserer Streitkräfte rechtfertigt, nicht im großem Stil. Ich bin einverstanden mit einer geringfügigen Aufstockung von tausend Einheiten, zudem sollten wir mit unseren Partnern Übungen durchführen und deren Militär auf einen Ernstfall vorbereiten. Mehr kann ich Ihnen nicht anbieten und das ist nicht verhandelbar, wir können nicht einen Krieg in Europa heraufbeschwören, nicht in Europa.“ Er blickte zu dem hageren Mann, der neben dem General saß. Er hatte schütteres graues Haar und steckte in einem schwarzen Anzug. „Nun, was sagt die CIA?“

„Ich stimme Ihnen zu, ich sehe noch keinen Kriegsgrund, dennoch bin ich mir sicher, dass dies nur der Anfang ist. Ich habe einen Bericht erstellt, hier bitte, Sir“, sagte er und reichte ihm eine braune Pappmappe.

Der Präsident schlug sie auf und überflog die Dokumente.

„In dem Bericht“, fuhr der Chef der CIA fort, „habe ich zusammengefasst, dass es ungewöhnliche Aktivitäten russischer Firmen am Weltmarkt gibt. Es werden viele technische Komponenten und Material gekauft, die zur Herstellung von militärischem Gerät nutzbar sind. Verstärkte Chip-Einkäufe für Raketensprengköpfe und andere Waffen, zudem beobachten wir intensive Gespräche zwischen Russland und China.“

Er blickte den Geheimdienstmitarbeiter an. „Was meinen Sie, bereitet Russland sich auf einen Krieg vor?“

„Das kann ich Ihnen zu diesem Zeitpunkt nicht sagen, dennoch liegt da irgendetwas in der Luft. Daher empfehle ich, das Programm Black Mamba zu aktivieren.“

Lange Sekunden blickte er den dürren Mann an, ehe der Präsident die Mappe zuschlug und auf den Schoß ablegte. „Machen Sie das, Bob, aktivieren Sie unsere Spione und setzen Sie sich mit der NSA in Verbindung. Ich möchte über jede Aktivität Bescheid wissen, die in diesem Land vonstattengeht. Man fühlt sich nur unsicher, wenn man etwas im Verborgenen plant, dennoch werden wir uns militärische Optionen für die Zukunft aufbewahren. Trotzdem möchte ich, dass unsere Ausrüstung und die Kampfverbände in Europa geprüft werden und deren Einsatzfähigkeit gewährleistet ist.“

„Verstanden“, erwiderten die beiden Männer beinah zeitgleich.

„Gut und Sie, George, geben bitte eine Pressemitteilung aus, dass wir das Gebiet nicht als unabhängig von der Ukraine ansehen. Für uns gehört es nach wie vor zu ukrainischem Hoheitsgebiet. Wir verurteilen diesen Schritt, der dem Völkerrecht widerspricht und den Bruch der Unversehrtheit eines Nachbarlandes mit sich bringt. Wir stehen zu Europa und der Union, besonders zur Ukraine.“

„Wird erledigt, Sir.“

„Danke, meine Herren, ich habe gleich noch eine Telefonkonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten.“

Damit verließen die drei Männer das Büro des Präsidenten.


Schlechte Nachrichten

(Freitag, 10. Juli 2015, Pasadena, Glenrose Avenue, Los Angeles County, Kalifornien, Vereinigte Staaten von Amerika)

„Pasadenas Straßen sind voll, fahren Sie vorsichtig und verlieren Sie nicht die Nerven. Mein Name ist John Godeu und es ist 06:54 Uhr, jetzt folgt ein musikalisches Meisterwerk von den Rolling Stones mit ihrem Hit Satisfaction.“ Der Radiosprecher beendete mit diesen Worten den Bericht der Verkehrslage.

In dem Moment, als das Gitarrenspiel einsetzte, blickte er verärgert auf seine Armbanduhr und fluchte lautstark. „Jetzt fahrt doch mal an dem beschissenen Müllwagen vorbei, es gibt auch Menschen, die arbeiten müssen!“Mehr als zwanzig Minuten hatte ihn der Berufsverkehr an diesem Mittwochmorgen schon extra gekostet. Dabei lag sein Ziel gerade einmal fünfzehn Autominuten von seiner Wohnung am Rand der kalifornischen Stadt entfernt.

Der schwarze SUV hatte es endlich geschafft, an dem sperrigen Heck des Müllwagens vorbeizufahren, der die Spur blockierte, und er folgte ihm, bevor das Fahrzeug auf der Gegenfahrbahn sich in Bewegung setzen konnte. Er bog auf die vierspurige Woodbury Road ab, die ihn fünf Minuten später an die Einlasskontrolle des Jet Propulsion Laboratory brachte.

LA CANADA FLINTRIDGE, CALIFORNIA – January 8, 2014: View of the historic Jet Propulsion Laboratory in Southern California.

Er öffnete das Fahrerfenster, als der korpulente Wachmann an sein Auto herantrat. „Morgen, Steve.“

„Guten Morgen, Frank, spät dran heute“, gab der Sicherheitsmann zurück.

„Ach der Verkehr ist die Hölle da draußen“, erwiderte Frank mürrisch und zog seinen Sicherheitsausweis durch das Lesegerät.

„Wem sagst du das, du wirst bereits erwartet, Doktor Stone verlangt nach dir.“

„Mein Abteilungsleiter? Der lässt sich doch nur dann blicken, wenn etwas Spektakuläres passiert.“

„Ich weiß es nicht.“ Steve klopfte sich auf seine Brust. „Denk an deinen Ausweis.“

„Ach Mist“, sagte Frank und fingerte seinen JPL-Ausweis aus der Tasche, die neben ihm auf dem Beifahrersitz lag. Er klemmte den Klipper an seine Hemdtasche, verabschiedete sich mit einer schnellen Handbewegung und Grüßen an Steves Frau, ehe er weiter zu seinem Parkplatz fuhr. Was ist das nur für ein Morgen, dachte er, als er den Schlüssel aus dem Zündschloss zog und nach der Tasche griff. Dann wollen wir mal sehen, was der Tag noch mit sich bringt. Er warf die Tür hinter sich ins Schloss, verriegelte das Auto und eilte zu dem weißen Bürogebäude, in dem die Space Flight Operations Facility, kurz SFOF, und die Kommunikationsausrüstung des Deep Space Networks, kurz DSN, untergebracht waren, gegenüber dem Parkplatz. Zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte er die Treppe hinauf in den dritten Stock. Auf dem Flur kam ihm sein Kollege Elijah entgegen, zusammen werteten sie die Daten der Raumsonde Voyager 2 aus, insbesondere der letzten noch funktionierenden Instrumente, das MAG, was für Magnetometer stand, und des Plasma Spectrometer, kurz PLS.

„Hey, Frank, alles klar? Bist spät dran heute, Stone wartet in seinem Büro schon auf dich“, entgegnete Elijah ihm auf halbem Weg.

„Ich weiß, ich weiß, gibt es was Neues vom PLS?“

Elijah schüttelte den Kopf. „Die ersten Daten sind erst vor einer Stunde eingetroffen. Das DSN hat die Sonde an den errechneten Koordinaten angefunkt und die Übertragung des Mermory Dumps läuft noch.“

„Okay, glaub mir, wir sind nah dran, ich spüre es, die Heliopause muss bald kommen.“

Ich bin gespannt, ob wir ein ähnliches Phänomen wie bei der Pionier-Anomalie registrieren.

Bei der Pionier 10-Sonde wurde 1980 eine rätselhafte Beschleunigung gemessen, nachdem sie die Umlaufbahn des Uranus hinter sich gelassen hatte. Es war zwar nur eine minimale Abweichung, dennoch gab es keine schlüssige Erklärung. Als die verbreitetste Erklärung für diese Abweichung beschloss man, dass es an der unregelmäßigen Wärmeabstrahlung der nicht gleichmäßigen Struktur der Sonde lag. Bis heute gibt es unter den Fachleuten keine gesicherte Erklärung. Diesen Umstand machte Frank neugierig und sein Bauchgefühl sagte ihm, dass irgendetwas an dieser Erklärung nicht passen konnte. Dinge beschleunigen nicht einfach ohne Grund im Weltall.

„Alles klar, gib mir deine Tasche und beeil dich, er hat keine gute Laune.“ Elijah nahm ihm die Tasche ab und nickte ihm in Richtung des Endes des Flures, wo Doktor Stone sein Büro hatte.

Er spürte ein Kribbeln in seiner Magengrube, als er auf die unscheinbare graue Tür zu ging. Er klopfte und wartete einen Moment, als keine Reaktion folgte, klopfte er erneut und öffnete die Tür einen Spalt. Doktor Stone saß hinter seinem Schreibtisch und telefonierte. Der bemerkte ihn, winkte ihn herein und deutete auf einen der beiden Stühle vor dem Arbeitstisch.

„Machen Sie das und noch was, halten Sie mich auf dem Laufenden, ich will über jede Kleinigkeit informiert werden.“ Doktor Stone beendete das Telefonat, indem er den Hörer auflegte. Er räusperte sich und blickte Frank streng an. „Ich hoffe, Ihnen geht es gut, Doktor Navell.“ Ohne auf eine Antwort zu wartet, fuhr er fort: „Mir und auch der NASA sind die Beiträge der Voyager-Mission bekannt und wir sind sehr dankbar für alles, was Sie bereits geleistet haben.“

Was kommt jetzt?, schoss es Frank durch den Kopf.

„Wir schätzen Sie und Ihre Fähigkeiten hier sehr.“

Er klingt fast wie meine Frau, bevor wir uns geschieden haben.

„Doch gibt es neue Pläne. Wie Ihnen bekannt ist, neigen sich die Voyager-Missionen dem Ende zu.“

„Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche, ich fühle mich durchaus geschmeichelt, aber um mir das zu sagen, haben Sie mich doch nicht herbestellt, oder?“ Frank versuchte dem starren Blick standzuhalten.

Doktor Stone lehnte sich auf die Arbeitsplatte, dabei glänzte das Licht auf der kahlen Stelle seiner Halbglatze.

„Nein, in der Tat nicht, ich komme direkt aus Houston und hatte ein langes Meeting mit den NASA-Verantwortlichen. Die NASA ist durch Budget-Kürzungen angehalten, einen strikten Sparkurs zu fahren, kurz gesagt Ihre Stelle wird hier mit dem Auslaufen Ihres Vertrages nächstes Jahr nicht verlängert. So schwer es mir fällt, aber ich muss Ihnen leider sagen, dass Sie sich danach einem anderen Projekt zuwenden müssen. Mir fehlen schlichtweg die Mittel und die Mission wird ohnehin bald ihr Ende finden.“

Ein Stich wie von einer heißen Nadel durchbohrte seine Brust an der Stelle, an der sein Herz schlug. „Sie feuern mich?“

„So würde ich es nicht sagen, bitte verstehen Sie mich, wenn ich könnte, würde ich Ihnen einen neuen Vertrag ausstellen, doch ich kann es nicht, es tut mir leid. Nutzen Sie die verbleibende Zeit und empfehlen Sie sich mit Ihrer Arbeit für andere Projekte.“

Dass sein Vertrag nächstes Jahr auslief, war ihm durchaus bewusst gewesen, und er hatte bereits vor Wochen einen Antrag auf Verlängerung eingereicht, doch nun hatte er seine Antwort erhalten. Seine Arbeit an der Voyager-Mission würde enden. Sein Magen krampfte und ihm wurde schlecht, er hatte fest damit gerechnet, dass er wenigstens noch fünf Jahre an diesem Projekt arbeiten konnte. Zugegeben, in letzter Zeit hatte er sich mit kleinen Nebenprojekten beschäftigt, da seit einiger Zeit der Kontakt zur Sonde sporadisch gewesen war, doch spürte er, dass bald etwas Geschichtsträchtiges passieren musste. Seinen Berechnungen nach musste die Sonde jederzeit die Heliopause erreichen. Die äußerste Grenze, an der die Sonnenwinde noch messbar waren und der interstellare Raum begann.

„Ich hätte Ihnen gerne bessere Nachrichten unterbreitet, doch ist es leider, wie es ist. Falls Sie ein anderes Projekt haben, teilen Sie es mir mit, dann werde ich es mir ansehen und wir sprechen noch einmal, doch jetzt muss ich mich entschuldigen, ich habe gleich eine Videokonferenz mit der ESA.“

Frank nickte teilnahmslos, erhob sich und ging zur Tür. Als sie hinter ihm ins Schloss fiel, atmete er hörbar aus. Was soll ich jetzt machen? Das Projekt ist mein Leben, wenn ich doch nur etwas finden würde. Er zuckte zusammen. Die Daten. Er eilte zu seinem Büro, Elijah saß bereits hinter seinen Monitoren und schaute zu ihm auf, als er in den Raum gestürmt kam.

„Und?“

„Was und?“, erwiderte Frank.

„Was wollte Stone?“

„Nichts weiter, das Übliche, Berichte, Ergebnisse und so weiter“, sagte er nüchtern und setzte sich.

Er weckte seinen Rechner aus dem Standby-Modus, auf den vier Bildschirmen tauchten schwarze Fenster auf, die sich schnell mit Zahlenkolonnen, Datentabellen und Messdaten füllten. „Wie sehen die Analysen aus?“, fragte er und lud die neuen Daten in seine Tabellen.

„Hier, nimm“, sagte Elijah. Frank blickte zum oberen Rand seines Monitors, wo er eine Visitenkarte erblickte. Er nahm sie an sich. Auf ihr stand eine Nummer in Elijahs Handschrift.

„Was ist das?“

„Vorhin hat ein Typ angerufen, er sagte, er habe ein Angebot für dich, das du nicht ausschlagen kannst. Keine Ahnung, was er damit meint, er wollte sich jedenfalls mit dir treffen und du sollst diese Nummer anrufen.“

Frank starrte irritiert die Zahlen auf der weißen Papierkarte an.

„Zu den Daten. Wie du vermutet hast, hat die Dichte der geladenen Teichen anfangs weiter abgenommen, ich glaube, dein Bauchgefühl lässt dich nicht im Stich.“ Elijahs Stimme klang etwas gedämpft hinter der Wand aus Monitoren.

„Ich wusste es“, sagte Frank aufgeregt und legte die Karte beiseite. Nun könnte es ja doch noch etwas werden mit einem Folgeauftrag, gehen wir doch mal zu den letzten Aufzeichnungen. Er manövrierte sich durch verschiedene Eingaben über seine Tastatur, zu den letzten empfangenen Daten der Voyager 2-Sonde.

„Schau dir mal die Daten des PWS an, die sagen allerdings etwas ganz anderes.“

„Weshalb das?“, fragte er ungläubig. „Das Plasmawellen-System ist doch schon seit Jahren so gut wie nutzlos.“

„Schau es dir einfach an und sag mir, was du davon hältst. Warte, ich schick es dir auf deinen Bildschirm.“

Ein kleines Chatfeld am unteren Bildschirmrand tauchte auf, in dem eine Datei enthalten war. Er öffnete sie und blickte auf verschiedene Frequenzanalysen, ein Bereich am Ende fiel ihm direkt ins Auge. Der Wert stieg sprunghaft an und verließ den erwarteten Bereich. „Das muss ein Fehler sein, das kann nicht sein.“

„Das dachte ich mir auch und habe die Analyse zwei weitere Male durchgeführt, jedes Mal mit demselben Ergebnis, die Sonde hat irgendein starkes Signal aufgefangen. Das Interferenzmuster ist ziemlich ausgeprägt.“

Frank sprang von seinem Stuhl auf. „Du willst mir sagen, dass die Sonde am Rande unseres Systems ein Signal empfangen hat?“

Elijah lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „So sieht es aus, ich habe die Daten mit denen von vor einem Monat abgeglichen, diese waren unauffällig. Irgendetwas ist da draußen, erzeugt Interferenzen, die Kohärenz ist eindeutig.“

„Du willst mich verscheißern. Ist das ein schlechter Scherz, hat Stone dir gesagt, dass ich nächstes Jahr hier nicht mehr arbeiten werde, und hast daher die Daten frisiert?“ Frank setzte sich. Seine Gefühle fuhren Achterbahn mit ihm, Hitze machte sich in seinem Körper breit und sein Herz schlug wie wild.

„Wie, was meinst du, du arbeitest nächstes Jahr nicht mehr hier? Wurde dein Antrag auf Verlängerung abgelehnt?“ In Elijahs Stimme schwang Mitgefühl mit. „Das tut mir leid, ehrlich, aber ich habe damit nichts zu tun, bei meiner wissenschaftlichen Ehre, die Daten sind echt.“

„Das würde bedeuten, Moment“, sagte er und sprang zu den letzten empfangenen Daten des Magnetometers. „Das MAG zeigt mir Werte an, die nicht sein können, jedenfalls nicht dort. Die Sonde muss auf etwas getroffen sein, das ein starkes Magnetfeld erzeugt, aber das würde bedeuten, dass dort irgendetwas Massereiches sein muss, etwas, was ein Magnetfeld erzeugen kann, etwas mit Gravitation. Was ist das?“ Ist das die rätselhafte Beschleunigung der Pioneer-Anomalie, aber wie soll das zusammenpassen? Diese Werte weichen stark von der Norm ab, das ist einfach unmöglich!

„Was denn?“, fragte Elijah. Als er keine Antwort erhielt, kam er zu Frank herum.

„Sieh selbst.“ Frank zeigte auf die Kurve, die steil nach oben ging. „Ich habe die beiden Werte übereinandergelegt, und die Frequenz sowie das Magnetfeld nehmen beide identisch zu und dann …“ Frank verstummte im Satz, als er auf den Monitor blickte. „… brechen sie einfach ab.“

„Meinst du, die Sonde ist in ein schwarzes Loch geflogen?“

Frank blickte zu Elijah auf. „Bestimmt nicht, dann hätten wir ganz andere Werte, es muss etwas anderes sein, doch was nur?“

„Was machen wir jetzt?“

„Ich weiß es nicht, Stone sagen wir es jedenfalls nicht, noch nicht. Wir brauchen mehr Daten, mehr gab es nicht?“

„Nein, danach herrschte Funkstille. Ich meine, es sind ein Haufen Daten, die wir noch durcharbeiten müssen, also langweilig wird uns nicht. Einen Augenblick, gerade empfangen wir neue Daten der Sonde.“ Elijah war zu seinem Terminal zurückgeeilt, als ein dumpfes Klingen ertönte.

„Dann ist sie nicht defekt, das ist gut.“ Frank hatte ebenfalls die neuen Datenpakete gesehen und traute seinen Augen nicht, als er sie studierte.“

„Siehst du, was ich sehe?“, hörte er Elijahs ungläubige Stimme.

Frank rieb sich nachdenklich das Kinn. „Was hat das zu bedeuten?“

„Ich sehe es.“

„Was ist das für eine Scheiße, spinnen die Instrumente und übermitteln uns falsche Daten?“ Frank sprang auf. „Ruf den Connection Controller an, vielleicht haben sie die Antenne des DSN verstellt.“

Frank sah, wie Elijah zum Hörer des roten Telefons griff und eine Taste drückte.

„Hi, Nick, hier Elijah, sag mal, habt ihr die Antenne in Madrid verstellt? Die Übertragung der Voyager ist abgebrochen.“ Elijah nickte, während er zuhörte. „Ganz sicher?“ – „Okay, danke“, sagte er und schüttelte den Kopf, während er den Hörer auflegte.

„Also ist mit der Antenne alles okay, ich verstehe das nicht“, sagte Frank.

„Ich kann dir nur sagen, was ich sehe, aber dass alle Systeme gleichzeitig von jetzt auf gleich ausfallen oder Störungen haben, ist unwahrscheinlich, irgendetwas passiert da mit der Sonde. Aber was, da draußen dürfte es nichts geben außer Leere und geladenen Teilchen. Vielleicht ist sie ja nun wirklich vollends defekt.“

„Vielleicht.“ Er stand auf, schnappte sich seine Tasche und ging zur Tür.

„Wo willst du hin?“, fragte Elijah verdutzt.

Frank drehte sich zu ihm um. „Ich gehe jetzt telefonieren und werde in Erfahrung bringen, was dieser Mann für ein Angebot für mich hat. Falls du neue Daten der Sonde empfängst, ruf mich an und nur mich, das bleibt erst einmal unter uns. Wenn es ein Fehler ist, machen wir uns in jeder Hinsicht lächerlich. Also halt die Füße still.“

„Jawohl, Chef, aber dir ist schon klar, wenn das hier wahr ist und die Daten korrekt sind, ist das eine Sensation“, erwiderte Elijah und grinste, ehe er sich zu seinen Monitoren umdrehte.

„Das ist mir klar.“

Das dumpfe Geräusch der Autotür drang durch die Fahrerkabine, eher er den Kopf gegen die Kopfstütze lehnte und die Augen schloss. Für einen Moment genoss er die Stille. Er wählte die Nummer, die auf der Visitenkarte stand.

„Hallo, Dr. Navell, Sie haben sich richtig entschieden anzurufen.“ Die männliche Stimme klang wie von einem Nachrichtensprecher, nüchtern und klar, doch schwang in ihr etwas Bedrohliches, Kühles mit. Er schluckte, als der Mann ihn mit seinem Namen ansprach, ohne dass er einen Ton gesagt hatte.

„Ja, hab ich das? Ich weiß nicht einmal, wer Sie sind“, sagte er unsicher.

„Das spielt auch keine Rolle, Sie können mich Mister Hyde nennen, wenn es Ihnen angenehmer ist.“

„Nicht wirklich, aber worum genau geht es denn?“

Der Mann schnalzte mit der Zunge. „Direkt zur Sache, das ist gut, in fünfundzwanzig Minuten im Rafis Place.“

„Sie meinen das Gourmet-Restaurant in der Nähe des Los Angels Zoo? Das sind mehr als sechzehn Kilometer.“

„Dann sollte Sie losfahren, ich werde hier nicht auf Sie warten, denn das Angebot, das ich für Sie habe, verfällt in genau fünfundzwanzig Minuten, ab jetzt. Tick-tack die Zeit läuft.“ Ohne ein weiteres Wort wurde das Gespräch beendet, etwas ungläubig starrte Frank auf das Telefon in seiner Hand.

Er blickte es erbost an. „Ist der verrückt? Das schaffe ich nie. Es sei denn, ich nehme die Abkürzung, dann schaffe ich es zehn Minuten schneller.“ Er nahm den Autoschlüssel, den er auf das Armaturenbrett gelegt hatte, und startete den Motor. Ein Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken und er erblickte neben sich einen Mann, der die Uniform des Sicherheitspersonals trug und ihn durch die Scheibe streng anblickte. Er öffnete das Fenster. „Was kann ich für Sie tun?“

„Doktor Navell, bitte folgen Sie mir, Dr. Stone möchte Sie umgehend sprechen.“

Frank schnaufte etwas genervt. „Worum geht es denn, ich habe es eilig?“

„Dies hat man mir nicht mitgeteilt, aber es ist dringend. Bitte folgen Sie mir.“

Frank blickte in das strenge, kantige Gesicht des durchtrainierten Mannes, der vielleicht einmal beim Militär gewesen war.

„Kann das nicht warten?“

Der Mann schüttelte mit dem Kopf. „Ich fürchte, ich muss darauf bestehen.“

Frank seufzte, sein Puls raste. Was will Stone denn jetzt schon wieder? Er schloss genervt das Fenster, stieg aus, verschloss das Fahrzeug und folgte dem Wachmann. Bereits nach dem ersten Klopfen wurde Frank ins Büro gebeten.

„Da sind Sie ja! Danke, Mister Brown.“

Der Wachmann neben Frank nickte. „Keine Ursache.“ Dann ging er zur Tür und schloss diese.

Frank blickte seinen Vorgesetzten fragend an. „Habe ich jetzt etwas ausgefressen?“

„Wie?“, fragte Stone etwas irritiert. „Ach nein, ich habe Sie herbringen lassen, weil ich Sie nicht in Ihrem Büro gefunden haben und Ihr Kollege mir sagte, dass Sie zu Ihrem Auto wollten, daher habe ich Mister Brown gebeten nachzusehen.“

„Worum geht es denn, wollen Sie meinen Vertrag doch verlängern?“

Stone setzte ein schiefes Lächeln auf und zeigte auf einen Stuhl. „Bitte setzen Sie sich.“

Frank warf einen Blick auf den Stuhl. „Danke, mir ist nach Stehen.“

„Schön, ich wollte Ihnen nur ein Angebot unterbreiten. Aufgrund Ihrer guten Arbeit hier wollte ich Ihnen einen Hinweis auf eine Stelle geben. Ich weiß, dass die ESA bald ein neues Projekt startet und dafür noch neue Analytiker braucht. Da habe ich an Sie gedacht, ich würde Ihnen selbstverständlich eine Empfehlung schreiben. Dafür müssten Sie allerdings nach Deutschland ziehen.“

„Deutschland, ESA, von welcher Mission sprechen Sie?“

Dr. Stone faltete die Hände. „Es ist noch nicht offiziell, aber ich habe ein Memo bekommen, in dem wir die ESA beim Bau und der Überwachung der Gerätschaften unterstützen sollen. Es dauert allerdings noch etwas. Ich wollte Ihnen nur die Möglichkeit geben, sich als einer der Ersten dafür zu bewerben. Ich denke, wenn Sie eine Initiativ-Bewerbung einreichen, wird man Sie ohne Umschweife anhand Ihrer Qualifikationen für diese Mission auswählen, wenn Sie genehmigt wird.“

„Und Sie können mir nicht sagen, worum es geht?“

Stone wiegte mit dem Kopf. „Soweit ich das verstehe, bereitet die ESA eine Mission zu einem Eismond vor, wir sollen Systeme für eine Sonde bauen und einige andere Komponenten.“

Frank verstand nicht so recht. „Eismonde gibt es viele bei uns im Solsystem.“

„Bewerben Sie sich, kommen Sie zu mir, wenn Sie eine Empfehlung brauchen, und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, das Meeting geht in fünf Minuten weiter.“

Frank blickte den grauhaarigen Mann an. Seine Brille saß ihm etwas schief auf der Nase. Er nickte ihm zu. „Danke, dass Sie an mich gedacht haben.“

„Selbstverständlich, Sie sind ein fähiger Mann und ich meine es, wie ich es gesagt habe, ich hätte Sie sehr gerne hier behalten, wenn ich könnte, so arbeiten wir in gewisser Weise noch zusammen. Vielleicht tauschen wir uns beizeiten mal über die Mission aus.“

Frank nickte erneut und verließ das Büro. Als er an seinem Büro vorbeiging, hielt er an und warf einen Blick durch die offene Tür. Elijah saß an seinem Arbeitsplatz und war in seine Analysen vertieft.

„Gibt es etwas Neues?“, fragte er.

Elijah drehte sich zu ihm herum. „In der Tat, es wird immer seltsamer, der CC der New Horizon-Mission des DSN hat angerufen. Sie überwachen aus Canberra die Flugbahn der Sonde zum Pluto.“

„Ja und?“, drängelte Frank ungeduldig und trat ins Büro.

Elijah wiegte mit dem Kopf. „Nun ja, sie haben unsere Sonde gefunden?“

Frank lachte ungläubig. „Was heißt das?“

„Sie haben das Funksignal der Voyager 2 hinter dem Pluto entdeckt, das kurz darauf wieder verschwand.

„Du willst mir also gerade weismachen, dass die Sonde eine Strecke von mehr als siebenundsiebzig Astronomischen Einheiten zurückgelegt hat, und zwar in Richtung Sonne, in wenigen Minuten?“ Das musste hier einfach ein Scherz sein, das ist einfach unmöglich und gegen alles Physikalische.

Elijah nickte. „Sie befand sich für ein paar Minuten hinter der Umlaufbahn des Plutos in einer Entfernung von dreiunddreißig AE zur Sonne. Kurz nach ihrem Auftauchen dort verschwand sie erneut. Vorher gab sie diese Messdaten weiter, die denen vom ersten Mal entsprechen.“ Elijah tippte auf seinen Bildschirm.

Frank schüttelte vehement den Kopf. „Ich kann das nicht glauben, das ist einfach unmöglich.“

Elijah seufzte. „Geht mir auch so.“

„Wer weiß davon?“

„Bis jetzt wir und der CC, aber es wird denke ich morgen bis zur Missionsanalyse der ESA vordringen.

„Okay, ich muss los, ich muss das verarbeiten. Behalte hier alles im Auge, wenn es etwas Neues gibt, ruf mich an, aber nur mich.“

„Geht klar.“

Er ging zu seinem Auto und schloss die Fahrertür. Er fischte hastig sein Mobiltelefon aus der Tasche und wählte die Nummer seines alten Freundes Dr. Braun, den er damals auf der Uni kennen gelernt hatte. Er war zwar ein paar Jahre älter, doch hatte sie das nicht an einer guten Freundschaft gehindert. Er musste seinem Freund einen Hinweis geben. Nach dem vierten Freiton wurde das Gespräch entgegengenommen.

„Hallo, Manfred, ihr ist Frank Navell vom JPL.“

„Mister Voyager, wir haben uns ja ewig nicht gehört. Wie geht es dir?“ Die Stimme klang tief, aber warm und gehörte einem in die Jahre gekommenen Mann.

„Mister Voyager, den Namen habe ich schon lange nicht mehr gehört …“ Er grinste unwillkürlich. „Mir geht es gut, danke. Störe ich?“

„Nein, ich wollte gerade Feierabend machen.“

Frank räusperte sich. „Ich will dich auch nicht lange aufhalten. Soweit ich weiß, helft ihr der NASA bei der Überwachung der New Horizons-Mission, die bald am Pluto eintreffen muss.“

„Ja, warum?“

Frank atmete hörbar aus. „Gut, ich glaube, dass die New Horizons hinter der Umlaufbahn des Plutos etwas Merkwürdiges entdecken wird. Etwas, was ein starkes Magnetfeld erzeugt.“

Manfred schwieg einen Moment. „Ich verstehe nicht? Woher willst du das wissen?“

„Ich kann nicht sagen, woher ich das weiß, sagen wir, ich weiß es einfach. Die Sonde wird vorher ein starkes Magnetfeld entdecken und ein starkes Signal empfangen.“

„Ein starkes Magnetfeld? Was soll da draußen ein Magnetfeld erzeugen, wovon sprichst du zum Teufel. Hast du Informationen, die ich wissen sollte?“

„Ich kann wirklich nicht sagen, woher ich es weiß, Manfred, bitte glaube mir, ich weiß, dass sich das verrückt anhört, aber ich bin mir sicher. Auch wenn unsere Sonden weit voneinander entfernt sind, sagt mir mein Bauchgefühl, dass ihr wachsam sein solltet.“

„Das klingt in der Tat verrückt, ist etwas mit der Voyager passiert?“, fragte Manfred erneut, dieses Mal klang seine Stimme bestimmt und sehr ernst.

Frank schwieg einen Wimpernschlag lang. Offenbar hatte sein alter Freund keine Kenntnis von dem Auftauchen der Voyager-Sonde hinter dem Pluto, vielleicht waren die Daten bis zu ihm noch nicht vorgedrungen. Er beschloss ihn nicht aufzuklären, auch wenn er es selbst bald herausfand. „Nein“, log er. „Halt einfach die Augen auf, okay?“

„Du weißt doch etwas, muss ich mir Sorgen machen?“

„Ich weiß es nicht, ich möchte ja nicht mehr, als dass du die Augen nach ungewöhnlichen Dingen aufhältst.“

„Das mache ich.“

„Hat mich auch gefreut, melde dich, wenn etwas passiert.“

„Mich auch, Frank. Bis bald.“

Er beendete das Gespräch und blickte einen Moment auf das Handy in seiner Hand. Ob sein Hinweis als Warnung verstanden oder als Unsinn abgetan wurde, wusste er nicht. Mehr konnte er in dieser Situation nicht machen, ohne Alarm zu schlagen. Schlagartig kam ihm das Treffen mit dem mysteriösen Auftraggeber in den Sinn. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, die Zeit tickte gegen ihn, in zwölf Minuten lief seine Deadline ab.

Er startete den Motor und verließ mit quietschenden Reifen das Gelände des JPL, ohne die Gewissheit zu haben, ob er es überhaupt noch rechtzeitig schaffen konnte. Er fuhr so schnell ihn der Verkehr ließ. Durch eine Einbahnstraße, was ihm eine Zeitersparnis von gut acht Minuten einbrachte, und das Passieren von zwei roten Ampelsignalen ließ ihn die Strecke in knapp elfeinhalb Minuten bewältigen. Er parkte am Ende einer Ladezone, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Restaurants am Straßenrand eingezeichnet war.

Verdammt, ich weiß nicht einmal, wie der Typ aussieht. Falls das ein schlechter Scherz ist und mein Auto gleich abgeschleppt wird, für nichts, dann weiß ich nicht, wo dieser Tag enden soll.

Er überquerte die Straße und ließ seinen Blick über die Tische der Außengastronomie schweifen. Doch keines der Pärchen oder Gruppen von Büroangehörigen kam für ihn in Frage. Vielleicht drin, dachte er und ging zur Eingangstür. Ein junger Kellner sprach ihn an, der hinter der eleganten Theke stand. „Guten Tag, der Herr, haben Sie reserviert?“

„Nein, ich suche jemanden beziehungsweise treffe ich mich mit jemandem hier.“

„Sind Sie Doktor Navell?“

Frank stutzte, doch die Erkenntnis, dass ihn der mysteriöse Mister Hyde wahrscheinlich instruiert hatte, ließ ihn nicken.

„Mister Hyde wartet am Tisch um die Ecke auf Sie, linke Seite am Ende des Raumes.“

„Danke“, sagte Frank und eilte um den Barbereich herum, wo es auch zu den Toiletten ging. Lediglich zwei ältere Pärchen saßen an den Tischen und ein Mann mit schwarzem Anzug, weißem Hemd und einer Sonnenbrille. Das muss wohl Mister Hyde sein. Er ging auf den Mann zu, der währenddessen einen Blick auf seine Armbanduhr warf.

„Hallo, ich bin Doktor Navell“, grüßte er und streckte dem Mann die Hand entgegen. „Wir haben telefoniert.“

„Ich weiß.“ Hyde ignorierte die ausgestreckte Hand. „Setzen Sie sich“, forderte er.

Frank folgte der Aufforderung.

„Wie ich sehe, haben Sie es innerhalb der Zeit geschafft, das zeigt mir, dass Sie Interesse haben.“

„Nur weiß ich nicht, woran ich wirklich Interesse habe.“

Mister Hyde schob ihn ein kleines zusammengefaltetes Blatt über die Tischplatte.

Frank blickte es interessiert an. „Was ist das?“

„Schauen Sie selbst?“

Frank nahm das Papier auf, entfaltetet es und wäre definitiv umgefallen, wenn er nicht bereits gesessen hätte. Es war ein Scheck, auf dem eine Summe notiert war, die das Dreifache seines Jahresgehalts bezifferte. Nach einem Moment, in dem er seine Gedanken sammelte und das Blatt zusammenfaltete, schob er es dem Mann zurück über den Tisch. „Ich weiß nicht genau, was Sie mir anbieten wollen, doch für dreihunderttausend Dollar kann es nur etwas sein, was nicht mit rechten Dingen zu tun haben kann. Ich weiß nicht, für wen Sie mich halten …“

Mit einer schnellen Handbewegung schnitt Hyde ihm das Wort ab. „Wir wissen genau, wer Sie sind, und die Summe auf dem Scheck ist nur der Anfang, wenn Sie zustimmen. Um es vorwegzunehmen, wir wollen nicht, dass Sie jemanden umbringen“, sagte der Mann amüsiert. „Wir wollen lediglich, dass Sie einen neuen Job annehmen.“

„Wer ist ‚wir‘?“, fragte Frank, zwar war das nicht seine einzige Frage, doch erschien ihm diese zuerst am relevantesten.

„Nun, wie Sie sich vorstellen können, bin ich nicht hier, um mit Ihnen Kaffee zu trinken. Ich arbeite für eine Regierungsorganisation, von der Sie noch nie etwas gehört haben. Wenn Sie mir diese Verschwiegenheitserklärung …“ Hyde öffnete den Reißverschluss einer schwarzen Ledermappe, die neben ihm auf der Tischplatte lag, und schob ihm einen fingerdicken Stapel Blätter herüber. Darauf legte er einen goldenen Kugelschreiber.

„… unterschreiben, kann ich Sie einweihen, ansonsten habe ich Ihnen nichts weiter zu sagen. Ach und der Kaffee, der dort kommt, geht auf Ihre Rechnung.“

Frank blickte den Mann an, seine Augen konnte er durch die dunklen Brillengläser nicht erkennen.

„So bitte schön, die Herren, zwei mal Kaffee schwarz und ein Kännchen Milch.“ Die Kellnerin stellte zwei dampfende Tassen Kaffee in die Mitte des Tisches und ein silbernes Kännchen Milch.

„Danke vielmals“, sagte der Mann charmant, lächelte und schenkte sich etwas Milch ein, als die Kellnerin verschwand.

„Sie verlangen von mir, dass ich das jetzt alles durchlese und meine Seele verkaufe für dreihunderttausend Dollar und ohne zu wissen, was Sie von mir wollen. Wenn ich Sie richtig verstehe, möchte die Regierung der Vereinigten Staaten, dass ich für diese arbeite. Was soll das Ganze? Wieso ich?“

„Sie sollten Ihre Stimme senken“, sagte Hyde kühl. „Warum Sie? Weil Sie auf einer Liste stehen, zwar nicht an erster Stelle, aber Sie sind unter den Top Ten und es gibt andere, die nicht zögern werden. Die vier vor Ihnen sind leider nicht mehr zu rekrutieren, drei von Ihnen sind mit anderen Projekten betraut und Nummer vier ist leider unvorhersehbar verstorben.“ Mister Hyde schien Franks irritierten Blick bemerkt zu haben. „In diesem Fall haben wir nichts damit zu tun, er ist eines natürlichen Todes gestorben, doch können wir sehr überzeugend sein. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass dieses Angebot beim nächsten Glockenschlag des Kirchturms erlischt und Sie mich nie wieder sehen werden. Dann wird der Job bei der ESA sich ebenfalls in Luft auflösen.“

„Sie wissen von dem Job?“ In dem Moment, als er die Frage zu Ende gesprochen hat, schlug er sich gegen die Stirn. „Sicher wissen Sie davon und noch eine Menge mehr.“

Hyde nahm einen Schluck seines Kaffees. „Wir wissen alles über Sie. Unterschreiben Sie, in zwei Minuten ist es halb, dann ertönt die Glocke.“

„Es geht hier also um den Job bei der ESA? Ich verstehe nur nicht, was die ganze Aufmachung hier soll.“

„Noch eine Minute, ich würde jetzt schreiben, es sind einige Unterschriften, tick-tack, Herr Navell.“

Frank blickte auf den Stift, der auf dem Stapel Blätter ruhte.

„Die Stellen sind markiert“, fügte Hyde hinzu und nahm einen weiteren Schluck Kaffee.

Frank hatte zwei Möglichkeiten, er konnte aufstehen und gehen, in diesem Fall würde er ein weiteres Jahr bis zu seinem Vertragsende an seinem Projekt arbeiten können. Wenn es stimmte, dass er ohne die Unterschrift auf dieser Erklärung die Stelle bei der ESA vergessen konnte, hatte er danach erst einmal keine Perspektive und er musste sich etwas anderes suchen. Vielleicht als Systemanalytiker bei der NASA oder der Roskosmos, wo er alte Missionsdaten analysieren würde. Er war neunundvierzig, hatte keine Kinder und war geschieden, also was hatte er zu verlieren? Er seufzte und entschied sich für die zweite Option, die ihn in dieser Sekunde als die bessere Option erschien, auch wenn er dafür womöglich seine Seele verkaufte.

„Sehr gut, ich wusste, dass Sie ein vernünftiger Mann sind“, sagte Hyde, als Frank das letzte Mal sein Autogramm auf das Papier schrieb. Hyde nahm ihm den Stapel Blätter weg und verstaute diesen in der Mappe. „Den Stift bitte“, sagte er und hielt ihm fordernd die Hand hin.

Frank gab ihn ihm. „Nun bin ich gespannt, was hinter dem allen steht, da Sie ja jetzt meine Unterschrift unter dem Knebelvertrag haben, können Sie mir endlich erzählen, was das hier alles soll.“

„Immer mit der Ruhe, ich sagte, ich werde Sie einweihen, aber nicht, dass ich Ihnen alles erzählen werden. Um das klarzustellen, offiziell arbeiten Sie nicht für die Regierung und diese hat auch keine Kenntnis von diesem Auftrag. Falls Sie auffliegen oder ähnliches, erwarten Sie keine Hilfe. Sie werden uns auf dem Laufenden halten und über alles informieren, ganz besonders, wenn sich etwas Lohnenswertes ereignet. Sollten Sie die Mission zu unserer Zufriedenheit erledigen, wird es sich für Sie lohnen. Wenn dieser Tag gekommen ist, wird es Ihnen die NASDS mitteilen.“ Mit diesen Worten erhob er sich und hielt ihm einen kleinen Datenstick entgegen. „Darauf finden Sie alles, was Sie wissen müssen. Kleiner Tipp: Sie brauchen neue Koffer.“

„Wer ist die NASDS?“, fragte Frank und nahm den Stick entgegen.

„Die National Agency for Security and Defense from Space, kurz NASDS.“

„So etwas gibt es? Erwarten Sie einen Angriff aus dem All?“, fragte Frank und kam nicht drumherum zu grinsen.

„Ja, dies und noch viel mehr. Sie sollten Ihre neue Aufgabe ernst nehmen. Geben Sie Ihr Geld nicht direkt auf einmal aus, es ist Ihr Jahresgehalt, das Sie zur Erledigung ihres Auftrages erhalten.“

Frank blickte dem Mann nach, bis er hinter der Ecke der Theke verschwunden war. Er griff sich den Scheck und verstaute diesen mit dem Stick in seiner Hosentasche, ehe er zu seinem Auto ging. Die Strecke nach Hause schaffte er in etwas mehr als einer halben Stunde. Er parkte den Wagen in der Tiefgarage und nahm den Aufzug in die vierte Etage des Apartmenthauses.

Er verfügte in seiner Wohnung wohl über den sichersten Anschluss im gesamten Umkreis. Zwar war die Rechenleistung seines Computers bei Weitem nicht die der Rechner des JPLs, doch reichte diese, um von zu Hause zu arbeiten und einige Berechnungen anzufertigen, daher hatte er einen gesicherten Server. Selbst seine Internet- Verbindung lief über eine gesicherte Leitung. Um den Stick auslesen zu können, fiel ihm kein anderer sicherer Ort ein als seine eigenen vier Wände.

Er startete den Rechner, meldete sich an und steckte den Stick in den USB-C-Port. Er öffnete die einzige Datei in dem Ordner, der mit ‚Projekt Hyperion‘ benannt war. Dann wollen wir mal sehen, wofür ich meine Seele verkauft habe. Er öffnete die Datei, ein Wappen erschien, das einen startenden Weißkopfseeadler zeigte, der zu einer Rakete wurde, die in den Orbit der Erde flog. Um das kreisrunde Symbol stand: ‚National Agency for Security and Defense from Space‘. Er scrollte zur ersten Seite herunter, die mit ‚Missionsauftrag‘ gekennzeichnet war. Er las den Auftrag Wort für Wort zweimal durch und lehnte sich nachdenklich und etwas verwirrt in seinem Stuhl zurück. Ich soll also für die Regierung der USA spionieren, aber warum ich? Ich bin doch nur ein Doktor der Astrophysik und Analytiker. Oder geht es genau darum, dass ich eben einfach nur ein Mann vom Fach bin? Ich soll mich einfach nur bei der Europen Space Agency für die anstehende Mission Hyperion bewerben. Aber um was für eine Mission handelt es sich, eine bemannte Reise zum Mars, deren Daten und Informationen ich mit der NASDS teilen soll?

„Ich verstehe das alles nicht, das ergibt doch gar keinen Sinn“, murmelte er jetzt vor sich hin. „Bei einer bemannten Mission ist die NASA doch involviert, oder hat die Regierung vielleicht Sorge, dass die Europäer Informationen unterschlagen, und setzen mich genau dafür ein?“

Er las die anderen beigefügten Anhänge durch und erfuhr, dass Doktor Braun, der Leiter der Missionsanalyse der ESA für die Mission Hyperion zuständig war. Franks Mission war denkbar einfach, er sollte sich bei der ESA für Hyperion bewerben und anschließend, während die Mission gestartet war und es Erkenntnisse gab, diese an die NASDS weitergeben, dafür hatte er eine Anleitung erhalten, wie er die Daten über verschiedene Wege übermitteln konnte. Kontakt sollte er über Foren aufnehmen, die vom NASDS überwacht wurden, in denen er Nachrichten hinterlassen sollte.

Falls das alles war, würden die ihm versprochenen dreihunderttausend Dollar Jahresgehalt leicht verdientes Geld sein. Die Stelle bei der ESA hatte ihm sogar Doktor Stone empfohlen und er würde ihm sogar dafür eine Empfehlung schreiben. Irgendwo musste doch ein Haken sein, irgendetwas musste doch an dem Ganzen faul sein, niemand bezahlt so viel Geld für ein paar Informationen, es sei denn, diese hatten es in sich. Aber was genau beinhaltet Hyperion, was war das Ziel?


New Horizons

(Sonntag, 12. Juli 2015, 07:12 Uhr, Terminal 2, Flughafen Köln/Bonn)

Dicke graue Wolken zogen durch den Himmel und es begann zu regnen. Er schloss den Reißverschluss seiner Jacke, um den kühlen, feuchten Wind fernzuhalten. Er trat auf die Fahrbahn der Haltezone und blickte sich nach dem Auto seines Vaters um. Wo steckt er denn schon wieder? Er sah auf seine Armbanduhr, bereits vor einer halben Stunde war er gelandet. Ist ihm wohl etwas dazwischengekommen. Leonard schnappte sich seinen Rollkoffer und ging zum ersten Taxi. Die Fahrerin brachte ihn zu einem kleinen Reihenhaus in Köln Klettenberg.

Er griff sich den Koffer und blieb, nachdem das Taxi sich entfernt hatte, auf der Straße stehen. Es schien, als würde die Stadt noch schlafen, nur ein einsames Licht in der Küche des Nachbarn brannte, bei dem Leonard in seiner Kindheit oft den Fußball über den Gartenzaun geschossen hatte. Fast fünf Jahre war es her, dass er hier ausgezogen war und zu seinem Abenteuer in die Vereinigten Staaten aufgebrochen war. Nun war er mit einem Masterabschluss von der James Hopkins Universität in der Fachrichtung Astrophysik im Gepäck in seine Heimatstadt zurückgekehrt.

Er ging zur Eingangstür und überlegte einen Moment, ob er den Türsummer neben dem kleinen Messingschild mit der Gravur ‚Familie Braun‘ betätigen sollte. Er entschied sich, leise zu sein, und nutzte seinen Hausschlüssel. Als er die Tür öffnete, stieg ihm ein gewohnter Duft in die Nase, der ihn wissen ließ, dass er zu Hause war. Er zog die Schuhe im Flur aus, streifte sich die Jacke ab und hing sie an die Garderobe. Den Koffer ließ er hinter der Eingangstür stehen und ging in die angrenzende Küche. Nur das Ticken der Standuhr war aus dem Wohnzimmer zu hören, das direkt an die offene Küche angrenzte.

Seine Mutter musste noch schlafen, denn sein Vater hätte ihn abgeholt, wäre er zu Hause. Ihm war bewusst, dass er gerade alle Hände voll zu tun hatte bei der ESA, denn die New Horizons-Mission ging gerade in die heiße Phase.

Er ließ seinen Blick über die Bilder der Kommode schleifen. Er erblickte sich selbst im Kindergartenalter und beim Halten seiner Schultüte. An dem Bild, das ihn auf dem Arm seines Großvaters zeigte, der bereits vor sechs Jahren im Alter von neunzig gestorben war, blieb er einen Moment hängen und erinnerte sich an einen Spruch, den er ihm mit auf den Weg gegeben hatte. Hör nie auf, das zu tun, an das du glaubst, denn wenn du aufhörst, daran zu glauben, dann hörst du auf, an dich selbst zu glauben! Er hatte Leonards Kindheitstraum immer sehr ernst genommen und ihm ans Herz gelegt, diesem Traum durch harte Arbeit auch nachzugehen, Astronaut zu werden. Für Leonard war klar, dass er etwas Wissenschaftliches studieren wollte und musste, also hatte er sich an der Johns Hopkins beworben und war aus allen Wolken gefallen, als die Universität ihn eingeladen hatte bei ihnen zu studieren.

Er wandte sich von den Bildern ab und folgte der Treppe in den ersten Stock, wo sein Kinderzimmer und ein Bad untergebracht waren. Als er die Tür öffnete, fiel sein Blick zuerst auf das Poster, das ein fliegendes Objekt über einem Wald zeigte, über dem der Satz I WANT TO BELIEVE stand. Seit seiner Jugend war er ein Riesenfan der Akte X-Serie und hatte alle Folgen mehrmals gesehen.

„Ich habe alles so gelassen wie früher.“

Er hatte bereits die leisen Schritte vernommen, die die Treppe herunterschlichen. Er drehte sich um und blickte in das Gesicht seiner Mutter, die er herzhaft in den Arm nahm.

„Hallo, Mama.“

Seine Mutter drückte ihn fester. „Tut gut dich zu sehen.“

„Geht mir auch so. Ist Papa in Darmstadt?“

Sie lösten sich aus der Umarmung und seine Mutter ging zur Treppe. „Seit vorgestern schon, du weißt doch sicherlich besser als ich, was dort gerade los ist. Die NASA ist auch schon ganz aufgeregt. Komm, ich mach uns Frühstück.“

Er folgte ihr die Treppe hinunter.

„Ich werde mir eine eigene Wohnung suche, je nachdem, wo ich einen Job finde.“

„Bis du eine hast, kannst du hier wohnen, ich habe dich so lange nicht gesehen“, sagte sie und befüllte die Kaffeemaschine mit Wasser. „Komm, setz dich, ich mach uns erst einmal ein paar Brötchen warm.“ Sie öffnete den Küchenschrank und holte zwei Teller heraus, die sie auf den Tisch stellte.

Er nahm aus der Schublade Besteck und legte es auf den Tisch. „Ich helfe dir.“

„Weißt du denn schon, was du jetzt machen willst? Warum bewirbst du dich nicht bei deinem Vater, dort werden doch immer fähige Leute gebraucht.“

„Das stimmt, aber ich weiß es noch nicht, ich werde viele Bewerbungen für Projekte schreiben, die für mich infrage kommen.“

Das Gurgeln der Filtermaschine wurde lauter und sofort verbreitete sich ein angenehmer Duft nach gebrühtem Kaffee.

Sie drehte sich zu ihm um. „Willst du etwa wieder nach Amerika gehen? Dann werde ich dich ja wieder Monate nicht sehen.“

„Ich weiß es noch nicht, müssen wir das jetzt besprechen?“

Sie seufzte. „Bitte entschuldige, du hast recht.“ Sie räumte Aufschnitt aus dem Kühlschrank und deckte den Tisch.

Es tat gut, zu Hause zu sein und seine Mutter zu sehen. Sie aßen und unterhielten sich über Leonards Zeit in Amerika, über seine Arbeit und seine Zukunftspläne.

„Wie läuft es denn bei Lucy? Was macht sie gleich noch mal?“, fragte seine Mutter.

„Sie ist Analytikerin und wertet für die ESA Radiosignale und Missionsdaten aus, die bei verschiedenen Missionen von Sonden gesammelt wurden. Radioastronomie nennt sich das und sie hat einen Master in Datenanalyse, mit dem Nebenfach Computertechnik gemacht. Ich habe letztens erst mit ihr geschrieben, ihr geht es gut, sie ist jetzt schon fast zehn Monate bei der ESA.“

„Dann könnt ihr doch zusammen bei der ESA arbeiten.“

Leonard seufzte. „Das ESAC ist in Madrid, so einfach ist das nicht. Aber ich hätte sie gerne wieder gesehen, vielleicht besuche ich sie mal.“

Leonards Mutter lächelte ihn zufrieden an, ehe sie begann den Tisch abzuräumen. Leo wusste, dass sie sich insgeheim schon lange wünschte, dass er und Lucy ein Paar wären, doch dazu kam es nie.

„Ich wollte heute Abend nach Darmstadt fahren und bei Papa schlafen, morgen ist ja der große Tag. Vielleicht darf ich ja dabei sein, wenn die New Horizions am Pluto eintrifft.“

„Du willst nicht mal über Nacht bleiben?“, fragte seine Mutter entsetzt.

„Ich würde am liebsten sofort los, du kannst dir nicht vorstellen, was das für bedeutende Tage für die Astronomie sind. Zum ersten Mal wird die Menschheit den Zwergplaneten zu Gesicht bekommen.“

„Schon gut, du hörst dich an wie dein Vater“, sagte sie amüsiert.

Leonard half ihr die Küche aufzuräumen und nahm seine Mutter danach auf einen Spaziergang mit. Es kribbelte in ihm, er hätte am allerliebsten den Flieger direkt nach Frankfurt genommen, um ohne Umwege zur ESA zu fahren. Sein Vater hatte ihn dazu eingeladen, doch hatte er ihm auch dazu geraten, vorher bei seiner Mutter vorbeizufahren. Er hatte den Rat befolgt, denn so schwer es ihm auch fiel, die Füße stillzuhalten, wusste er, wie wichtig es seiner Mutter war, schließlich hatten sie sich sechs Monate nicht mehr gesehen. Er genoss die Zeit mit ihr, die frische Luft des angrenzenden Waldgebiets um Köln herum, sie unterhielten sich über die Verwandtschaft, das Leben und alles andere. Die Zeit verging wie im Fluge und nach einem Mittagessen, zu dem Leonard seine Mutter eingeladen hatte, gingen sie nach Hause. Die Haustür fiel hinter ihnen ins Schloss.

„Hilf mir bitte mal aus der Jacke.“

Leonard half seiner Mutter und hängte ihre dünne Jacke an der Garderobe auf. Mittlerweile waren die Temperaturen an diesem Sommertag über zwanzig Grad geklettert, doch der stetige Wind ließ es sich deutlich kühler anfühlen.

„Was ist, hab ich was im Gesicht?“, fragte er, als sie ihn anlächelte.

„Na los, fahr schon, du hast dich lange genug um deine Mutter gekümmert. Ich danke dir sehr für die schönen Stunden.“ Sie umarmte ihn und küsste ihn auf die Wange.

„Danke, ich komme bald wieder.“

Sie blickte ihn an und legte ihm eine Hand auf die Wange. „Verspreche nichts, was du nicht wissen kannst. Dein altes Auto steht noch in der Garage und dein Vater hat es gerade noch zur Inspektion gebracht.“ Sie nahm die Schlüssel vom Schlüsselbrett neben der Eingangstür und gab sie ihm.

Er nickte ihr zu, gab ihr einen Kuss auf die Stirn, nahm seinen Koffer und ging zur Garage. Die Sonne neigte sich bereits dem Horizont zu, als er die Autobahn Richtung Süden nahm. Seinem Vater hatte er eine Nachricht geschrieben, dass er auf dem Weg war, und der hatte ihm geantwortet, dass er direkt zum ESA Center kommen soll.

Aus den Lautsprechern ertönte eine männliche nüchterne Stimme und verkündete die aktuelle Uhrzeit, im Anschluss die aktuellen Nachrichten. Leonard drehte den Lautstärkeregler etwas lauter. Gespannt hörte er zu, doch wurde nichts von der New Horizons-Mission berichtet. Als die Wettervorhersage begann, stellte er das Radio wieder leiser.

Leonard parkte zwei Stunden später das Auto auf dem Besucherparkplatz vor dem ESA-Gebäude. Durch die große gläserne Drehtür der Eingangshalle betrat er das Gebäude. Leonard staunte nicht schlecht, als er die riesige Halle betrat.

Die Decke bestand aus einem Glasdach, das mit schweren Stahlträgern durchzogen war. Die Wände und der Boden waren mit hellen Steinfliesen ausgelegt. An den Wänden hingen verschiedene Bilder von berühmten Astronauten und Missionen der ESA. Darüber hingen große Uhren, die die aktuelle Uhrzeit in den verschiedensten Städten anzeigten. Überall liefen Leute mit weißen Kitteln oder blauen Overalls herum.

Er steuerte direkt die kreisrunde Empfangstheke in der Mitte der Halle an, über der das Modell der ersten Kometensonde der ESA hing. Leonard erkannte es, es war die Eins-zu-eins-Kopie der Giotto-Sonde, die 1986 an dem berühmten Kometen Halley vorbeigeflogen war, der alle siebzig Jahre sehr nah an der Erde vorbeiwandert.

Der Wachmann hinter dem Tresen musterte ihn aufmerksam. „Guten Tag, mein Name ist Leonard Braun und mein Vater hat mich heute hierhin eingeladen.“

„Ah, Sie sind der Sohn von Manfred Braun, er hat Sie bereits angekündigt. Warten Sie bitte einen Moment, ich klingel mal durch, wo er gerade steckt.“

„Danke“, sagte Leonard und ließ seinen Blick durch die Halle schweifen. Die Wand mit den Bildern fiel ihm ins Auge. Bei näherer Betrachtung erkannte er, dass eines der Bilder das berühmte Erdaufgangsbild der Apollo 8-Mission zeigte. Er ging etwas näher und betrachtete es genauer. Ein Gefühl von Ehrfurcht durchdrang ihn.

„Herr Braun?“, hörte er den Wachmann rufen, der ihn heranwinkte. „Ihr Vater lässt Sie hier abholen, bitte tragen Sie sich in die Liste ein, dann erhalten Sie einen Besucherausweise. Diesen müssen Sie mir bitte beim Verlassen des Gebäudes wieder aushändigen. Selbstverständlich haben Sie damit nur eingeschränkten Zugang im Gebäude.“

„Kein Sorge, die geheimen Forschungslabore mit den Außerirdischen sind in Sicherheit“, erwiderte Leonard, während er sich in die Liste eintrug.

„Gut, andernfalls müsste ich Sie ins Verlies sperren, das besser gesichert ist als die Area 51.“

Leonard blickte in das breit grinsende Gesicht des Sicherheitsangestellten. Aus dem Stimmengewusel, welches in der Halle herrschte, kristallisierte sich eine männliche Stimme heraus. „Hallo, Herr Braun, Ihr Vater hatte sich schon gefragt, wann Sie hier eintreffen werden!“, grüßte der Mann.

„Hier Ihr Ausweis“, sagte der Wachmann und händigte Leonard eine Plastikkarte aus, ehe er sich zu dem Mann umdrehte.

„Guten Tag“, grüßte Leonard.

Die Stimme gehörte einem drahtigen Mann in einem weißen Laborkittel. Er war ungefähr Mitte fünfzig und hatte bereits graues Haar. „Freut mich Sie kennen zu lernen, ich bin Doktor Thomas Niri, der Stellvertreter Ihres Vaters. Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Sie scheinen ja ein richtiges Genie zu sein. Sie arbeiten gerade an Ihrer Doktorarbeit, die den Aufbau von Eismonden beinhaltet?“

Leonard lachte verlegen. „Mein Vater übertreibt bei Gelegenheit gerne, aber ja in der Tat, ich arbeite gerade an der Eispanzertektonik und dem Aufbau von Eismonden, besonders an dem des Mondes Europa.“

„Das klingt sehr interessant, bitte folgen Sie mir, ich bringe Sie zum Kontrollzentrum.“

„Danke. Sagen Sie, hat die NASA schon Daten empfangen?“, fragte Leonard, während er Dr. Niri durch eine Glastür in einen Flur folgte.

„Ganz der Vater, keine Zeit verschwenden. Die NASA hat vor einer halben Stunde die Daten geschickt, wir bereiten Sie gerade auf. Dort zu der großen Tür müssen wir.“ Niri zeigte auf eine graue Flügeltür am Ende des Flures. Dahinter gelangten sie in einen viereckigen Raum, in dem mehrere Schreibtische mit Monitoren standen, an denen vereinzelt Personal saß.

„Hier werden Daten gefiltert, bearbeitet und analysiert und dort hinter der Glaswand am Ende des Raumes gelangt man in den Kontrollraum, in dem wir unsere Missionen überwachen“, erklärte Niri.

Der Kontrollraum war anderes, als Leonard ihn erwartet hatte, im Gegensatz zu dem Kontrollzentrum der NASA, das riesig war, war die Einsatzzentrale der ESA eher bescheiden. Ein rechteckiger Raum mit zwei Reihen Schreibtischen, auf denen dutzende Monitore standen, und eine Wand mit mehreren großen Bildschirmen und Leinwänden, auf denen allerlei Missionsdaten zu sehen waren. Leonard nahm seinen Vater in den Arm, der sich sehr freute seinen Sohn zu sehen.

Sein Vater erwiderte die herzliche Begrüßung. „Da bist du ja endlich.“

„Schöne Grüße von Mama, wir sollen nicht so lange machen“, sagte Leonard grinsend und löste sich aus der Umarmung.

Sein Vater lachte. „Das kann ich nicht versprechen.“

Dr. Niri legte Doktor Braun eine Hand auf die Schulter. „Ich mach mich wieder an die Arbeit.“

„Danke, Thomas“, sagte Leonards Vater und nickte seinem Stellvertreter zu.

„Wie sieht es aus?“, fragte Leonard.

Sein Vater rückte einen Stuhl für ihn zurecht und setzte sich auf den daneben. „Sieh selbst.“

Leonard setzte sich und blickte auf die Monitore vor sich.

„Hier, das haben wir gerade von der NASA erhalten.“ Doktor Braun gab etwas auf der Tastatur ein und öffnete ein Foto.

„Wow!“ Mehr konnte Leonard nicht herausbringen, als er das erste Bild des Plutos sah.

Der Pluto schimmerte in einem leichten Braunton. Das Sonnenlicht, welches von der Oberfläche reflektiert wurde und sich in der dünnen Atmosphäre brach, verlieh dem Zwergplaneten einen Dunstschleier.

Der größte Teil der Oberfläche des Plutos schien hell zu sein, wobei eine Region in der unteren rechten Bildhälfte am hellsten schimmerte. Auf der Erde hätte man vielleicht gesagt, es wäre ein Gletscher. Diese helle Ebene wurde rechts und links von dunkleren bräunlichen Regionen eingegrenzt. Nach oben verlief sich der Farbton in ein helleres Braun bis Creme.

Die Schärfe des Bildes war phänomenal und übertraf die Aufnahmen vom Hubble Weltraumteleskop bei Weitem. „Die Strukturen und Oberflächendetails sind fantastisch, ich bin wirklich überwältigt. Die gesamte Oberfläche ist von leichten Erhöhungen und Kratern überzogen, allerdings scheinen sie nicht so ausgeprägt zu sein wie die auf unserem Mond.“

„Doktor Braun, wir erhalten eine neue Übertragung von der NASA“, rief ein junger Mann ihnen zu.

„Danke, Andrea, auf den großen Bildschirm bitte“, erwiderte Doktor Braun. „Das ist mein Assistent“, erklärte er Leonard.

„Alles klar, Moment“, erwiderte Andrea.

Alle schauten wie hypnotisiert auf die große Videowand. Ein Blitz erhellte den Raum.

Langsam wurde die schwarze Fläche heller und immer klarer. Nach und nach konnte man Umrisse erkennen. Der Pluto erstrahlte in kräftigen hellen weißen Tönen mit satten braunen Flächen. Der braune Schleier war verschwunden und die Konturen waren messerscharf zu erkennen. Die Einschlagkrater in den braunen Bereichen, an deren Ränder helle Eisflächen grenzten, waren deutlich sichtbar. Der Pluto sah ein bisschen aus wie ein Schneeball, der über einen staubigen Boden gerollt war. Daneben in etwas Entfernung war eine kleinere dunklere Kugel zu sehen.

„Wahnsinn! Das ist echt cool. Ist es das, was ich vermute?“, rief Leonard fasziniert durch die freudigen Rufe der ESA-Angestellten.

Sein Vater antwortete ihm etwas amüsiert: „Was vermutest du denn, was es ist?“

„Wenn die Daten hier das sind, wovon ich ausgehe, umkreisen Pluto und Charon sich in einer gebundenen Rotation, so als wären sie durch eine unsichtbare Brücke miteinander verbunden. Das ist echt klasse, eine Art Doppelzwergplanetensystem“, fuhr Leo erstaunt und gleichzeitig begeistert mit lauter Stimme fort.

„Das ist wirklich fantastisch.“ Dr. Braun nahm seinen Sohn freudig in den Arm.

„Es gibt auch schon erste Daten zur Atmosphäre“, rief Doktor Niri.

„Danke, Thomas.“ Dr. Braun öffnete den Datensatz an seinem Terminal.

Ein Fenster mit Daten öffnete sich, Leonard studierte sie wie gebannt. „Das ist äußerst interessant, wirklich sehr interessant“, murmelte er. „Wenn ich das hier richtig sehe, gibt es einen Nebel nahe der Oberfläche. Anscheinend besteht dieser aus kleinen Stickstoffteilchen, die in der Atmosphäre schweben.“

„Sieh mal“, sagte sein Vater und zeigte auf einen Datenabschnitt. „Der Nebel an der Oberfläche besteht aus verschiedenen Aerosolteilchen.“

„Ja, es muss verschiedene Schichten geben, die sich bis zum Rand der oberen Hülle ausdehnen“, fügte Leonard hinzu. „Ich finde es faszinierend, dass wir jetzt auf die Daten schauen, die Sonde allerdings bereits am Pluto vorbeigeflogen ist.“

„Und dabei hat sie Unmengen an Daten gesammelt, es wird Monate dauern, bis wir alles empfangen haben.“

Plötzlich wurde die große Fläche in der Mitte der Leinwand schwarz. Kurz darauf leuchtete das Videofeld grellweiß auf und langsam erschienen die Umrisse einer Person. Es war ein Mann in einem weißen Kittel. Nach ein paar Sekunden war das Bild scharf zu erkennen. Er rückte etwas hektisch die Kamera vor sich zurecht, sodass er in Großaufnahme von Kopf bis zur Brust zu sehen war.

„Das ist Doktor Stevens, wissenschaftlicher Leiter der New Horizons-Mission bei der NASA in Houston“, flüsterte sein Vater ihm zu. „Hallo, Doktor Stevens, wie kommen wir zu der Ehre?“, grüßte er.

Der Mann auf der Leinwand wirkte besorgt und angespannt, er räusperte sich. „Hallo zusammen, nun, was ich Ihnen jetzt mitteile, ist streng vertraulich. Die New Horizons-Mission verläuft nicht mehr nach Plan. Wir haben gerade den Kontakt zu ihr verloren.“

„Bitte erläutern Sie uns das etwas genauer. Gibt es technische Probleme?“, fragte Dr. Braun nach.

„Das wissen wir noch nicht genau, wir haben einige Eingaben gemacht, um Instrumentenanweisungen zu übermitteln, doch plötzlich spielten die Werte des Magnetometers verrückt und im nächsten Moment brach der Kontakt ab, als wäre sie spurlos verschwunden“, erklärte Doktor Stevens.

„Wie kann das sein, Objekte verschwinden nicht einfach wie von Geisterhand“, rief Doktor Niri.

Doktor Stevens schüttelte den Kopf. „Wir wissen es nicht und haben derzeit keine Erklärung.“

„Sie sagten, das Magnetometer spielte verrückt?“, fragte Dr. Braun.

Doktor Stevens nickte. „Ich schicke Ihnen die Daten gleich rüber. Wir sind für Ihre Unterstützung sehr dankbar. Bis wir Genaueres wissen, bitten wir Sie, nichts an die Presse weiterzugeben.“

„Selbstverständlich“, erwiderte Dr. Braun.

Dann wechselte das Bild erneut zu einer schwarzen Fläche. Sofort brach eine Kakofonie aufgebrachter Stimmen los.

„Was hat das zu bedeuten?“, fragte Leonard.

Sein Vater beugte sich zu ihm. „Das weiß ich nicht, Fakt ist, irgendetwas stimmt hier nicht. Du bleibst hier, ich gehe telefonieren.“

„Ist gut“, sagte Leonard. Es wurde ziemlich hektisch im Kontrollraum, die Männer und Frauen diskutierten aufgeregt. Ein Fenster, das sich auf dem Bildschirm vor ihm öffnete, zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Es waren die Auswertungen des Magnetometers, die zeigten, dass die Sonde ein Gravitationsfeld entdeckt hatte, von dem ein Magnetfeld ausging. Nicht ansatzweise so stark wie das von der Erde, dennoch stark genug, um viele Fragen offen zu lassen. Leonard wusste, dass es ein Magnetfeld gab, das die gesamte Milchstraße durchzog, doch war dieses millionenfach geringer als das der Erde.

Hat die Sonde vielleicht das erste interstellare Magnetfeld gemessen? Doch warum ist der Kontakt zu ihr abgebrochen? Ich verstehe das nicht, das ergibt keinen Sinn, es muss eine Ursache geben, es gibt immer eine, das ist Physik und kein Hokuspokus. Die lauter werdende Stimme seines Vaters drang zu ihm durch den Lärm im Kontrollraum.

Er blickte zu ihm, mit dem Telefon am Ohr kam er langsam auf ihn zu. „Doktor Navell, ich muss Sie unterbrechen.“ Leonard lauschte den Worten seines Vaters. „Hier ist verdammt viel los, ich habe das Gefühl, dass wir Sie hier gebrauchen können. Kommen Sie nach Deutschland, ich habe mich beim JPL informiert, Ihr Vertrag läuft dort nächstes Jahr aus. Ich habe einen neuen für Sie.“ Einen Moment lang sagte er nichts und schien zuzuhören, dann nickte er und lächelte. „Wunderbar, ich erwarte Sie in den nächsten Tagen.“ Mit diesen Worten beendete er das Gespräch und ging zu Leonard.

„Alles okay?“

Sein Vater zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, so etwas habe ich in meinen fünfundzwanzig Jahren bei der ESA noch nicht erlebt. Das hier ist etwas Neues und selbst die NASA weiß nicht so recht, was sie davon halten soll. Es wird dauern, bis wir mehr wissen.“

„Hat dir das dieser Doktor Navell vom JPL erzähl?“

Für einen Herzschlag lang blickte sein Vater ihn irritiert an, dann setzte er sich auf den Stuhl neben ihn.

„Doktor Braun, haben Sie die Daten schon gesehen, die die NASA uns geschickt hat?“, fragte Doktor Niri, der neben ihnen auftauchte.

Sie blickten zu ihm auf.

„Ich werde sie mir gleich anschauen, fünf Minuten bitte“, erwiderte er.

„Natürlich“, sagte Niri und eilte davon.

Sein Vater blickte ihn streng an. „Das, was ich dir jetzt sage, wissen nur Doktor Navell und ich, es darf davon noch nichts an die Öffentlichkeit gelangen. Ich vertraue dir blind und du bist einer der klügsten Menschen, die ich kenne, und das meine ich als Wissenschaftler, nicht als dein Vater.“

„Danke, aber jetzt mach es nicht so spannend“, drängte Leonard.

„Okay, Doktor Navell …“ Sein Vater lehnte sich etwas näher zu ihm und senke die Stimme. „… hat mich vor vier Tagen angerufen. Er überwacht die Voyager 2-Mission. Diese ist in der äußeren Heliospähre auf ein ähnliches Phänomen gestoßen wie wir jetzt. Doch die Sonde tauchte wenig später hinter dem Pluto wieder auf und dann verschwand das Signal erneut. Er hat mich davor gewarnt und mir gesagt, dass ich nach einem Magnetfeld Ausschau halten soll.“

Leonard blickte auf den Bildschirm. „So eins meinst du?“

Sein Vater warf einen Blick auf den Monitor. „Verdammt, was ist das denn?“, fluchte er. „Das sind die Daten der NASA?“

„Ja“, sagte Leonard.“

Die Hand seines Vaters hatte sich zu einer Faust geschlossen. „Wieso haben wir das nicht schon viel früher erfasst?“

„Das war auch mein erster Gedanke“, sagte Leonard und blickte auf den Ausschlag des Diagramms. „Das Magnetfeld ist stark genug, um aus der Ferne von der Sonde entdeckt zu werden, aber dann kam mir der Gedanke, was ist, wenn das Phänomen nicht die ganze Zeit da war, sondern erst kürzlich aufgetaucht ist?“

Sein Vater blickte ihn skeptisch an, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. „Was meinst du damit? Du glaubst doch nicht, dass dort draußen irgendetwas auftaucht, eine Sonde stiehlt und wieder verschwindet.“

„Ich denke nicht an Außerirdische, aber Fakt ist, dort in der Finsternis ist eine Anomalie aufgetreten, die ich mir nicht erklären kann.“ Nachdenklich blickte Leo auf den Monitor.

„Doktor Braun, die NASA hat weitere Daten von der Sonde empfangen beziehungsweise ausgewertet“, erklärte Doktor Niri, der auf sie zukam. „Wir haben jetzt die letzte bekannte Position der Sonde, doch gibt es kein neues Signal.“

„Verstanden, wir konzentrieren uns jetzt auf diese Stelle, vielleicht empfangen wir mit einem Radioteleskop etwas. Ich möchte, dass dieser Bereich abgetastet wird. Fragt alle Stationen an und bittet um ihre Unterstützung, doch sagt ihnen nichts von dem Verschwinden der Sonde.“

„Und was sagen wir stattdessen?“, fragte Niri.

Dr. Braun zuckte mit den Schultern. „Seid kreativ, ich weiß es nicht, Kontrolle der Flugbahn oder sonst irgendetwas.“

„Okay“, bestätigte Niri und verschwand.

Leonard hatte ernsthafte Bedenken. „Du weißt, dass es leichter wäre, eine Nadel im Heuhaufen zu suchen. Der Pluto ist im Weg und wird es nahezu unmöglich machen, etwas hinter ihm zu messen.“

Sein Vater seufzte. „Ich weiß, aber irgendetwas müssen wir tun. Ich habe Doktor Navell gebeten mit uns zusammenzuarbeiten. Er wird nach Deutschland kommen und uns unterstützen. “

„Vielleicht können wir nichts tun, sondern müssen einfach warten, ob die Sonde sich wieder meldet, die Möglichkeit besteht ja noch, dass sie einen technischen Defekt hat, ich denke, die NASA wird daran ebenfalls arbeiten.“

Bevor sein Vater antworten konnte, meldete sich sein Handy. Er öffnete die Nachricht, Leonard konnte lesen, was auf dem kleinen Display stand, es war nicht viel, doch weckte es sein Interesse. Hyperion kann starten, die Rekrutierung der Astronauten wurde genehmigt, das Memo wird Ihnen zugestellt.

„Hyperion, Astronauten rekrutieren? Gibt es eine neue Mission?“

Sein Vater sperrte das Handy und verstaute es in der Tasche seines weißes Kittels. „Das wirst du noch erfahren, doch ich muss jetzt dringend etwas erledigen.


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Herzlichen Dank, euer David.

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